Johann Heinrich von Thünen beschäftigte sich schon in den 1820er Jahren mit sozialen Themen. Die Lösung der „sozialen Frage“ bedeutete für ihn u.a. die Schaffung einer menschenwürdigen Lebensgrundlage für die zahlenmäßig stärkste Klasse, die der Arbeiter.

Thünen entwickelte bereits 1826 eine Formel für den „naturgemäßen Arbeitslohn“, der sich marktwirtschaftlich ergeben kann, wenn der Boden noch frei verfügbar ist und Arbeiter mit ihrer Arbeitskraft selbst Kapital schaffen bzw. den über die Subsistenzbedürfnisse hinausgehenden Lohnanteil zinsbringend anlegen können. Die Formel bestimmt diesen „naturgemäßen Arbeitslohn“ als Wurzel aus dem Existenzminimum und dem Arbeitsprodukt:

a = Subsistenzlohn, p = Durchschnittsproduktivität der Arbeit

Da der Boden unter damaligen mitteleuropäischen Verhältnissen allerdings knapp und teuer war, sah Thünen in der Verringerung des Bevölkerungszuwachses und in einer humankapitaltheoretisch begründeten Erhöhung der Produktivität der Lohnarbeiter durch bessere Bildung den gesellschaftspolitisch erfolgversprechendsten Weg, um die Einkommen der Arbeiterklasse nachhaltig zu erhöhen.

Thünen setzte sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Tellower Gutsarbeiter ein. Dazu gehörten bessere Wohnverhältnisse, eine leistungsorientierte Entlohnung, die Festsetzung eines Preismaximums für den Zukauf von Brotgetreide von der Gutswirtschaft und die strikte Einhaltung von Arbeitszeiten durch verlässliche Uhren.

Für Thünen war das „Fortschreiten im Wissen und die damit verbundene Entwicklung seiner Fähigkeiten“ die eigentliche „Bestimmung des Menschen“. Seiner Überzeugung nach gehöre es zu den Aufgaben des Staates, die Voraussetzungen für eine gute Schulbildung zu schaffen. Er ließ dennoch aus eigenem Antrieb einen Dorfschullehrer ausbilden und eröffnete 1830 in Tellow eine Volksschule. Er wollte neben der materiellen auch die geistige Armut beseitigen.

„Überreichung des Ehrenbürgerrechts an Dr. von Thünen am 11ten Juni 1848“ – Stich von G. Rückert aus der Teterower Bürger-Zeitung, 11.6.1848.

Für die Tellower Gutsarbeiter führte Thünen im Revolutionsjahr 1848 eine an seiner Lohnformel orientierte „Gewinnbeteiligung“ ein. Die Pensionsfonds standen dem Inhaber vom 60. Lebensjahr an zur Sicherstellung seiner Altersversorgung zur Verfügung. Die Tellower Gewinnbeteiligung hatte bis 1896 Bestand.

Für den Gutsherrn und ökonomischen Analytiker Thünen standen Reinertrags- bzw. Gewinnmaximierung unter Nutzung der Marktkräfte im Vordergrund. Als Sozialreformer war er sich der Grenzen freier Märkte bei historisch gewachsenen Strukturen, sehr ungleichen Bildungs- und Vermögensverhältnissen bewusst. Deswegen schlug er sowohl als staatlicher Berater, als auch auf seinem Gut gemeinwohlfördernde Maßnahmen und Eingriffe vor und setzte sie um. Sein Humanismus und sein geniales wissenschaftliches Werk bildeten eine untrennbare Einheit.

„Wenn der Arbeiter, der während der Dauer seiner Kraft und Gesundheit mit aller Anstrengung gearbeitet und sparsam gelebt, nicht soviel erwerben kann, um in seinem Alter vor Not geschützt zu sein, sondern der Armenkasse oder seinen selbst dürftigen Kindern zur Last fallen muss: so können wir nicht leugnen, dass dieser Zustand ein ungerechter und unnatürlicher ist.“

Johann Heinrich von Thünen, 1850